Trump – Würdigung eines Aufklärers

Die Ära Trump ist Vergangenheit – und nein, ich werde ihn nicht vermissen. Die vierjährige mediale Dauererregung über jeden Pups, den der Mann irgendwo gelassen hat, ging mir ganz gehörig auf die Nerven. Zeit also, durchzuatmen? Nicht ganz, denn Trump hinterlässt uns ein Erbe, das uns noch weiter beschäftigen wird. Es ist – Achtung! – das Erbe eines großen Aufklärers.

Wie bitte? werden Sie sagen: Der Präsident der Lügen und alternativen Fakten als Aufklärer? Ja, genau dies. Denn die Rolle eines Aufklärers besteht darin, das allgemein für richtig Gehaltene radikal in Frage zu stellen. Und Trumps radikale Frage an uns lautet:

Warum soll ein Messwert, ein wissenschaftlicher Fakt, eine Zahl mehr wert sein als der frei geäußerte Wille eines Individuums?

In dieser Frage manifestiert sich das Unbehagen gegenüber einem Phänomen, das die sogenannten Sozialen Medien hervorgebracht haben. Während in den 1980er Jahren noch der berühmte Satz des Medientheoretikers Marshall McLuhan galt: The medium is the message – dass eine Botschaft ihre Relevanz also nicht aus ihrem Inhalt bezieht, sondern allein aus dem Umstand, dass sie zum Beispiel im Fernsehen verbreitet wird – hat sich die Sache inzwischen umgekehrt: The message is the medium. Die Verbreitung einer Nachricht wird selbst zum Medium, auf dem noch ganz andere, implizite, verdeckte, unbewusste Botschaften gesendet werden.

Ganz neu ist dieses Phänomen nicht. Im 19. Jahrhundert entdeckte das Bürgertum die Hygiene für sich. Sie war aber weit mehr als bloß wissenschaftlich belegter Fortschritt im Kampf gegen Krankheiten. Sauberkeit war zugleich Distinktionskriterium gegenüber der Arbeiterklasse. Und im 21. Jahrhundert sind es nun die reinen Fakten, mit denen man sich vom vermeintlichen Pöbel distinguiert.

Trumps Argwohn gegen die Fakten-Checker und Fake-News-Jäger setzt hier an: Ihr wollt eigentlich noch ganz etwas anderes, aber das verschleiert ihr hinter euren ach so objektiven Erkenntnissen. Und das mache ich euch klar, indem ich fortwährend das Gegenteil behaupte – und damit durchkomme.

Er hat damit nicht nur die Kommunikationstheorie auf seiner Seite, für die es eine alte Binse ist, dass es reine Sachaussagen nicht gibt, sondern alles vermeintlich Objektive auch immer ein subjektives Urteil, eine Bewertung oder eine Forderung enthält. Man könnte Trumps radikal-aufklärerische Frage nach dem Wert von Fakten sogar direkt an Immanuel Kants Kritik der reinen Vernunft anschließen. Denn wenn man das epochale Werk des deutschen Aufklärers in einem Satz zusammenfassen wollte, müsste er lauten: Wissenschaftliche Erkenntnisse fällen das Urteil über sie nicht selbst. Aus Fakten folgt nicht ihre Bewertung und schon gar nicht ein wie auch immer geartetes moralisches Sollen. So würde ja auch niemand verlangen, man müsse den von einem Algorithmus auf einem Dating-Portal errechneten Traumpartner gefälligst lieben.

Wenn wir Trumps Präsidentschaft also richtig würdigen wollen, dann dürfen wir ihn nicht auf den Trottel reduzieren, der laufend mit irgendwelchen Unwahrheiten um sich wirft, sondern müssen seinen „alternativen“ Umgang mit Fakten als eine Performance begreifen, einen aufklärerischen Akt, der uns immer wieder die Reflexion über die Freiheit und Autonomie des Einzelnen abnötigt.

Ich soll mich also nicht dauernd fragen: Was ist richtig?

Sondern mir und anderen Rechenschaft darüber ablegen: Was ist mir wichtig?