Die Debatte um die Reform bzw. Ausweitung des Sexualstrafrechts war in den letzten Monaten derart überhitzt, dass die Philosophie vom Sex dazu zunächst geschwiegen hat. Getreu dem alten philosophischen Motto, wonach die Eule der Minerva ihren Flug erst in der Dämmerung beginnt, muss der Vorgang von dieser Seite aus aber schon noch kommentiert werden. Dabei sei zunächst festgestellt: Die Politik hat ihr Bestes getan. Sie hat nämlich verschiedene gesellschaftliche Interessen unter einen Hut gebracht, vorrangig jene, die vordem unter gar keinem Hut, sprich: Schutz gestanden haben. Und sie hat das am Ende erstaunlich theoriefrei getan, ohne Rückgriff auf eine Theorie der Geschlechter, und sich damit klar als Pragmatikerin positioniert. Das ist insofern erfreulich, als hier der Raum des Politischen gegen die ideologische Engführung verteidigt wurde. Politik braucht kein theoretisches (d.h. metaphysisches) Fundament, sondern ihr Prüfstein ist allein das gelingende Zusammenleben.
Dass die vorangegangene Debatte weitgehend theoriefrei verlief, stimmt indes schon nachdenklich – zeigt dies doch, wie wenig am Ende verstanden wurde. Von den Geschlechtern, vom Sex, vom Recht.
Ein verbreiteter Vorwurf gegen die Verschärfung der Straftatbestände, der auch von nicht wenigen Frauen vorgebracht wurde, lautete, der Ekstase würde hier die Luft abgeschnürt, weil die ekstatische Begierde keine klaren Trennungen in Ja und Nein zuließe. Das ist praktisch ebenso falsch wie theoretisch. Denn man kann erfahrungsgemäß ekstatischen Sex haben, ohne übergriffig zu werden. Wer das nicht kann, ist in der ars erotica eben nicht hinreichend bewandert (was ein offenbar verbreitetes Phänomen ist, das sich nicht zuletzt aus mangelnder Unterweisung ergibt). Theoretisch ist der Vorwurf absurd, denn er verlangt, die Entsubjektivierung, also den Verlust der Selbstbestimmtheit unter rechtlichen Schutz zu stellen. Im demokratischen Rechtsstaat fallen die Urheber des Rechts und die ihm Unterworfenen aber in eins; Rechtssubjekt kann nur ein selbstbestimmtes Wesen sein und es kann nicht seine eigene Entsubjektivierung beschließen. Derlei Banalitäten lassen sich schon in Kants Rechtslehre nachlesen; aber dieses Basiswissen scheint bei vielen nicht vorhanden zu sein.
Wer die Ekstase inklusive Entsubjektivierung, wer die Grenzüberschreitung haben will, muss die „de-Sade-Konsequenz“ ziehen und sich außerhalb des Rechts stellen. Die Philosophie vom Sex ist hier moralisch neutral. Unter den gegebenen Umständen beträgt der Preis aber eben ein paar Jahre Knast.
Die Ausweitung der Rechtssphäre über unsere intimen Praktiken löst aus einem anderen Grund Unbehagen aus. Und das hat etwas mit dem Wesen des Rechts zu tun, wie es schon in den 1980er Jahren von Christina von Braun und in den 90ern von Judith Butler herausgearbeitet wurde. Die beiden Autorinnen haben nämlich festgestellt, dass das Recht seiner Idee nach nicht geschlechtsneutral ist, sondern monogeschlechtlich. In meinem Buch vögeln – eine Philosophie vom Sex spreche ich vom Vernunftgeschlecht, das nun kulturgeschichtlich mit dem männlichen Geschlecht in eins fällt. Sich des Rechts um der Sache des weiblichen Geschlechts zu bedienen, ist also zumindest ein zweischneidiges Schwert. Das zeigt sich auch in der gegenwärtigen Situation: Um Recht zu bekommen, muss sich die Frau als Opfer unterwerfen. Damit gerät sowohl das Recht wie die Sache des weiblichen Geschlechts in einen Selbstwiderspruch.
Diese Widersprüchlichkeit ist nun kein Argument gegen das neue Sexualstrafrecht, denn die Politik muss wie gesagt pragmatisch sein. Mit einer theoretischen Widersprüchlichkeit dürften die meisten gut leben können. Die Philosophie muss indes weiter denken. Wenn das Recht geschlechtlich „kontaminiert“ ist, dann kann man daraus zwei Konsequenzen ziehen: eine radikale und eine weniger radikale. Die radikale bestünde darin, alle geschlechtlichen Handlungen rechtsfrei zu stellen bei gleichzeitiger Erlaubnis für die Frauen, die Männer zu töten (die „Gottesanbeterinnen-Lösung“). Die weniger radikale Konsequenz fußt auf der Erkenntnis, dass alle Gewalt im Grunde sexuelle Gewalt ist und es daher keines gesonderten Sexualstrafrechts bedarf.
So paradox es klingen mag: Man wird eine Gesellschaft, die es mit der Geschlechtergerechtigkeit ernst meint, daran erkennen, dass sie das Sexualstrafrecht abschafft.
Die Grundlagen für die hier aufgestellten Thesen finden sich in vögeln – eine Philosphie vom Sex.