Die Rage – oder: über männliche Gewalt

In vögeln – eine Philosophie vom Sex setze ich mich auch eingehend mit dem Verhältnis von Geschlecht und Gewalt auseinander, mit dem Ergebnis, dass bei den männlichen Gewaltexzessen nicht ein biologischer Trieb am Werk ist, sondern sie die Folge einer kulturellen Geschlechterkonstruktion sind.

Um die Verhältnisse denken zu können, habe ich zunächst poetisch gearbeitet und das, was sich dabei zeigte, dann philosophisch weiterverfolgt. Hier als Leseprobe der poetische Teil aus dem 18. Kapitel „Die Rage“:

Abraham dachte immer wieder an den Krieg. Wenn er allein war, wenn keine Arbeiten ihn drängten, dann fing sein Kopf an, sich den Krieg auszumalen, einen Krieg, seinen Krieg. Es waren nicht mehr die Zeiten, wo ein Mann rechnen konnte, einmal in seinem Leben an einem Krieg teilzunehmen. Was die Welt noch an Gewalt übrig gelassen hatte, waren Schießereien zwischen kriminellen Banden, ob sie nun Uniform trugen oder nicht, Metzeleien in Wüstengegenden auf verwackelten Videos, unscharf. Das Sprechen über den Feind war aus der Mode gekommen, man bohrte Brunnen und baute Schulen. Man reichte die Hand. Betrogen wurde umso mehr. Abraham kannte seine Feinde, jene, die ihn geringschätzten und mehr noch jene, die ihn mit Wohlwollen bedachten. Wie gerne zöge er gegen die zu Felde. Der Krieg war ein Traum und fand doch auch im Traum nicht statt. Es blieb ein Phantomschmerz, ein Jucken, aufbewahrt in Vorstellungen. Vorstellungen von Gefechtsstellungen, Waffen, Befehlen. Den Feind links und rechts umfassen. Siegen wird, wer dem Tod ins Auge greift. Der Geruch von Waldboden und Pulverdampf, Öl und Schweiß. Aufbruch vor Sonnenaufgang. Leichtes Gepäck gegen die Angst der Burgherren. Das Berauschende der eigenen Angst, dieses Gefühl, dessen seine Feinde ihn beraubt hatten, Abraham wollte es sich zurückholen. Es war ihm Ernst, aber seine Träume lachten ihn aus, diese mutlosen Überläufer, die ihm in den Nächten den Krieg als einen Mummenschanz spiegelten, in dem er keinen einzigen Schuss abgab. Die Welt war zu moralisch geworden.

Er hielt sich bereit. Noch lagen viele Tage vor ihm, aber es wurden weniger, irgendwann würde es zu spät sein, für alles zu spät sein, es grauste Abraham vor dem Gedanken, nur noch so ein Hüllenwesen zu sein. Hatte nicht ein weiser Mann gesagt, der Krieg sei der Vater aller Dinge? Wohl. Der Krieg hatte etwas Einnehmendes, Aufhebendes; er war ein Schoß, ein Sehnsuchtsort. Das Gefecht hatte etwas zutiefst erotisches, aphrodisierendes; der Krieg war zutiefst: menschlich.

Abraham sprach mit niemandem darüber. Man würde ihn nicht verstehen. Hier nicht, im Land der Guten Menschen, die von alledem nichts wussten und in Abrahams Augen nur seine Müdigkeit sahen, die sie für Rechtschaffenheit hielten. Die Guten Menschen lobten Abraham für seine Klugheit und bewirteten ihn und er musste über sie lächeln. Man würde die Männer in Zukunft nicht mehr benötigen, man würde sie aussterben lassen.