Die Naturerscheinungen bringen das menschliche Bewusstsein hervor, sie spiegeln sich in ihm oder setzen sich in ihm fort. Wo der Mensch die Bewegungen der Natur als Kreisbewegungen erfährt, als Tageslauf der Sonne, als Phasen des Mondes, als Jahreskreis, entwickelt er ein zyklisches Zeitbewusstsein: Alles ist dem Prinzip von Werden und Vergehen und der ewigen Wiederkehr unterworfen. Daran orientiert er nicht nur seine Arbeiten, sondern entwickelt auch Vorstellungen von Wiedergeburt und Seelenwanderung. Die beiden prägenden Gestirne, die Sonne und der Mond, spiegeln sich in den beiden menschlichen Geschlechtern und setzen sich in den Geschlechtern der verehrten Gottheiten fort. Der Monotheismus ist dem Menschen der zyklischen Zeit nicht nur fremd, er ist für ihn gar nicht denkbar. Die Arbeiten des zyklischen Zeitbewusstseins sind den Rhythmen der Natur angepasst: im Haus, in der Viehzucht, auf dem Feld. Wir können dies das natürliche Geschlecht der Arbeit nennen.
Mit der Erfindung des Geldes als Kapital trat nun um das 5. Jahrhundert v. Chr. eine Erscheinung auf, die so gar nicht mit der bisherigen Naturerfahrung zusammenpassen wollte. Das Geld, als Kapital eingesetzt, konnte offenbar unendlich viele „Nachkommen“ (Zinsen) zeugen, ohne dass diesem Werden ein Vergehen gegenüberstand. Folgerichtig hatte Aristoteles die kapitalbasierte Wirtschaft auch als „widernatürlich“ bezeichnet: Das Wirtschaftswachstum war erfahrbar ein gänzlich anderes als das der Natur (s. dazu mein Buch Profitstreben als Tugend?, Marburg 2007). Das Phänomen des linearen Wachstums setzte sich wiederum im menschlichen Bewusstsein fort und generierte die Ideen von Entwicklung und Fortschritt – der Kreis war nun aufgebrochen, es ging fortan immer aufwärts, vorwärts, weiter. Das lineare Zeitbewusstsein brachte die Geschichtsschreibung ebenso hervor wie die Evolutionstheorie und das Fließband, die Utopie und das „Jüngste Gericht“. Die lineare Wachstums-Wirtschaft ist, als von den natürlichen Kreisbewegungen losgelöste, eine ganz und gar künstliche. Und sie hat die Arbeit als bezahlte Arbeit verdinglicht. Wir können dies das künstliche Geschlecht der Arbeit nennen.
Wo die Ökonomie nun aus dem Kreis ausgebrochen war, stellte sie im Gegenzug auch die Fruchtbarkeit und Endlichkeit der existierenden beiden menschlichen Geschlechter infrage und brachte quasi ihren eigenen künstlichen Humanoiden hervor: den homo oeconomicus, der fürderhin das einzige gültige Geschlecht sein sollte. Die moderne Wirtschaft (die zwar in der Antike ihre Wurzeln hat, aber erst im 18. Jahrhundert so richtig Fahrt aufnahm) ist also von Anfang an monogeschlechtlich, oder auch: geschlechtlich stigmatisiert. Der Mann, von der natürlichen Zykluserfahrung entfremdet, war nun für die Idee der Linearität besonders anfällig – wir könnten auch sagen: Der homo oeconomicus hat das alte männliche Geschlecht der zyklischen Zeit unter sich begraben und den modernen, progressiven Mann als Konstrukt hervorgebracht. So konnte es passieren, dass biologisches und ökonomisches Geschlecht in eins fielen. Die natürlichen Arbeiten blieben, wo sie nicht kapitalisiert werden konnten, in der Folge am weiblichen Geschlecht hängen. Dies hat dann zu dem fatalen (und bis heute von reaktionären Kreisen vertretenen) Umkehrschluss geführt, die Verteilung der Arbeiten hätte irgendetwas mit dem biologischen Geschlecht zu tun. Die moderne Ökonomie wurzelt eben gerade nicht in der Natur, sie ist von immenser Künstlichkeit – und jede Rede von der „Natur“ der Frau oder des Mannes in diesem Zusammenhang daher grundfalsch.
Dies bedeutet aber auch, dass diese Wirtschaft nicht weiblicher wird, wenn mehr Frauen sich ihren Teil vom Kuchen abschneiden. Sie bleibt monogeschlechtlich. Man wird das Rad nicht zurückdrehen wollen (es auch gar nicht können), dazu sind die Annehmlichkeiten des wachstumsorientierten Industriekapitalismus zu groß (bzw. die Schäden, die er anrichtet, noch nicht groß genug). Es wäre auch nicht hilfreich, die verbliebene natürliche (Haus-)Arbeit einfach zu entlohnen (wie dies u.a. Angelika Krebs fordert), denn dadurch würde sie ebenso verdinglicht und der Entfremdung unterworfen, ohne aber lineares Wachstumspotenzial zu gewinnen.
Eine Wieder- oder Neugewinnung der Egalität der menschlichen Geschlechter ist also ohne eine Veränderung der ökonomischen Paradigmen nicht zu haben. Oder umgekehrt: Wirtschaftswissenschaft kann nicht losgelöst von Geschlechterforschung betrieben werden. Die Auflösung der ökonomischen Monogeschlechtlichkeit erfordert eine Überwindung des ökonomischen Monotheismus.