Hebbels „Judith“

Es sieht auf den ersten Blick immer so progressiv aus und ist am Ende doch immer nur biedermeierliche Bewahrung des Status Quo. Über Friedrich Hebbels Drama „Judit“, das 1840 uraufgeführt wurde, bemerkte Brecht, es sei „eines der schwächsten und albernsten Stücke unseres deutschen Repertoires“. Mit Recht. Denn was bei Hebbel zunächst wie eine „starke Frau“ aussieht, ist letztlich doch wieder nur eine, die erst durch den Mann, der sie fickt, zu etwas wird. Wenn Caspar Shaller in der ZEIT schreibt:

Bei Hebbel ist Judith eine selbstlose Kämpferin nicht bloß für ihr Volk, sondern auch für ihre Sexualität. In Bethulien kann ihr niemand das Wasser reichen, die Männer, die sie losschickt, um gegen Holofernes zu kämpfen, sind Schlappschwänze. Also zieht sie selbst aus und trifft in Holofernes jemanden, der ihr ebenbürtig ist. Sie tötet ihn schließlich aus Scham darüber, dass ihre Lust sie überkommen hat, nicht nur um ihr Volk zu retten.

dann steht er damit ganz in der Deutungstradition des Judit-Mythos, wie er sich bis weit ins 20. Jahrhundert erhalten hat: Die Frau kann nicht von sich aus Subjekt sein – und wenn die sie umgebenden Männer sie nicht „zur Frau“ machen, dann muss es eben der patriarchale Gottvater sein, der sich dazu eines testosteron-gesteuerten Warlords bedient. Was Hebbel hier eigentlich beschreibt, ist Vater-Tochter-Inszest inklusive innerfamiliärer Vergewaltigung. So gilt bei ihm Judiths größte Sorge auch, von Holofernes bloß nicht schwanger zu werden.

Immerhin ist Frank Castorf plietsch genug, um diese Fallstricke zu sehen und lässt seine Judith an der Berliner Volksbühne Holofernes zu Tode ficken, macht ihre Vulva zum Mordwerkzeug (was dann auch Shaller in seinem „Starke-Frau-Bewunderungsgestus“ wohlwollend bemerkt).

In „vögeln“ gebe ich eine andere Deutung der Judit-Erzählung, die sich an den sumerischen Inanna-Mythos anlehnt: Judit ist hier nicht Werkzeug des patriarchalen Gottes, sondern selbst Göttin, die einem anderen Gott (Nebukadnezar) dessen Vermächtnis entreißt. Dass Holofernes sich von altgriechisch holo pherne = gesamte Mitgift ableitet, hat bis heute keiner der Kommentatoren bemerkt. Nicht er ist also ihr Gegner, sondern der chauvinistische König.